Ludwigshafen Popmusik und Psychoanalyse

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Klaus Theweleit haben Ende der 1970er-Jahre seine „Männerphantasien“ berühmt gemacht. Gestern hat der Kulturtheoretiker im Nationaltheater den alle zwei Jahre vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten Schillerpreis der Stadt Mannheim entgegengenommen.

Zum musikalischen Begleitprogramm gehörte keine Kammermusik, wie sie sonst bei solchen Anlässen üblich ist, sondern die lauten Klänge einer Elektrogitarre. Der Freiburger Musiker Sascha Bendiks verfremdete im Schauspielhaus Schillers/Beethovens „Ode an die Freude“ in der Art eines Jimi Hendrix und sang zum Ausklang der Feierstunde Neil Youngs „Change Your Mind“. Es war der Wunsch des Preisträgers Klaus Theweleit, der nicht nur als Literaturwissenschaftler hervorgetreten ist, sondern auch über Hendrix geschrieben hat und Popmusik und Sigmund Freuds Psychoanalyse wechselseitig zu erhellen versucht hat. Den Mentalitätsunterschied seiner Generation und der durch den Nationalsozialismus geprägten Elterngeneration führte Theweleit in seiner Dankrede denn auch auf die Erfahrung des Jazz, Rock’n’Roll und Blues zurück. Er zitierte einen ganzen Katalog geflügelter Worte aus Schillers Werken und stimmte das Chorlied aus „Wallensteins Lager“ an, wo es heißt, dass nur der Soldat ein freier Mann sei, weil er dem Tod furchtlos ins Auge blicke. Dieses „Reiterlied“ und viele andere aus dem Liederbuch der Nazis habe er selbst als Kind oft aus dem Munde seiner Mutter gehört. Viele Lieder und Sprüche kenne er noch heute auswendig, allein vom Hören. Sie seien erst überlagert worden, als der Jugendliche Charlie Parker, Cannonball Adderley und andere Jazzmusiker entdeckt habe. Wie „die Nazigewalt“ in die Körper der Elterngeneration hineingekommen ist, ist zu einem Lebensthema Theweleits geworden. Die Beschäftigung begann mit einer umfangreichen Doktorarbeit über die Freikorpsliteratur aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die unter dem Titel „Männerphantasien“ in zwei Bänden erschien, zahlreiche Leser erreichte, die „Männerforschung“ begründete und Ende der 1970er-Jahre lebhafte Diskussionen weit über das Fach der Literaturwissenschaft hinaus anstieß. Diese Beschäftigung hat ihr vorläufiges Ende gefunden in dem im vergangenen Jahr erschienenen Buch „Das Lachen der Täter“. Darin entwirft Theweleit ein „Psychogramm der Tötungslust“, wie der Untertitel lautet, das bis zu dem rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik reicht, der vor fünf Jahren ein Massaker unter jungen Sozialdemokraten auf einer norwegischen Ferieninsel verübt hat. Der Kunsttheoretiker Bazon Brock hob in seiner Lorede auf den Preisträger den weiten Blick in allen Büchern Theweleits hervor, und Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz erinnerte an die lange liberale Tradition der Stadt, die durch den Nationalsozialismus unterbrochen worden sei. Dem Zweck zu verhindern, dass sich ein solcher Kulturbruch nochmals ereigne, diene auch der Schillerpreis, seit 1954 im Gedenken an das Wirken Schillers in Mannheim vergeben. Unter den vielen Zitaten, die Theweleit vortrug, waren so auch die Verse aus dem „Lied von der Glocke“: „Gefährlich ist’s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn; jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.“

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