Ludwigshafen Schluss mit der Terzen-Seligkeit

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Vor knapp einem Jahr hat Till Brönner im Weißen Haus in Washington gespielt – jetzt war er zusammen mit einem Orchester im BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen zu Gast. Auch dieser Auftritt war eine Art Gipfeltreffen, denn Dirigent Enrique Ugarte ist auf seinem Instrument, dem Akkordeon, ein Meister.

„Ich hatte ja mit Tango bisher nichts am Hut“, eröffnete Brönner gleich mal den Zuhörern. Zu einem baskischen Folklorelied, das Ugarte arrangiert hat, meinte er, „die Melodie würde einem Hansi Hinterseer die Tränen in die Augen treiben“. Dieser Vergleich mit Trivialmusik in Gegenwart des Arrangeurs war schon ziemlich frech. Aber die beiden kennen sich schon länger, und offenbar tun die flapsigen Sprüche der Zusammenarbeit keinen Abbruch. Und dass Brönner mit Tango nichts weiter am Hut habe, hat er später auch noch ausdrücklich relativiert. Da hatte Ugarte nämlich gerade Astor Piazzollas „Adiós Nonino“ auf dem Akkordeon gespielt. Das Stück, das Piazzolla als Nachruf zum Tod seines Vaters geschrieben hatte, erklang in atemberaubender Intensität, eingebettet in ein Arrangement voller starker Farben und von großer Dynamik. Da waren die lobenden Worte Brönners vollkommen berechtigt. Der Dirigent Ugarte und die Württembergische Philharmonie Reutlingen sind treuen Besuchern der Bunten Reihe im Feierabendhaus schon bekannt. Vor zwei Jahren trat das Orchester bei einem Weihnachtskonzert mit der Vocalgruppe Viva Voce auf. Schon damals zeigten die Musiker, dass sie neben ihrem klassischen Repertoire auch mit Jazz und Pop etwas anfangen können. Diesmal gab es auch ein paar Jazzstandards zur Auflockerung, aber den Hauptteil machte lateinamerikanische Musik aus. Zur Unterstützung hatte das Orchester eine Jazz-Rhythmusgruppe mitgebracht. Die war für das Publikum etwas versteckt in der Mitte des Orchesters platziert. Tino Derado am Klavier beeindruckte nicht nur mit geschmackvollen Soli, er war auch ein aufmerksamer Begleiter. Martin Grünenwald am Schlagzeug, ein junger Jazzer aus Stuttgart, und Brönners alter Weggefährte Christian von Kaphengst am Kontrabass bildeten den groovenden Mittelpunkt des Orchesters, wenn es um Swing ging. Gerade beim Eröffnungsstück, Cole Porters „Night and Day“, merkte man noch deutlich, wie das Schlagzeug sich als Bindeglied zwischen Rhythmusgruppe und Orchester engagierte. Höhepunkte des Programms waren die Tango-Stücke. Beim berühmten „Libertango“ übernahm zuerst Ugartes Akkordeon die Melodie, und Brönners Trompete spielte die durchlaufende Begleitfigur. Ugarte übernahm auch den ersten Chorus der Improvisation, Brönner folgte. Auch bei den anderen Tango-Stücken blieb den Solisten genügend Freiraum. Bei erwähntem Volkslied aus Ugartes baskischer Heimat, setzte Brönner ein kühnes Solo gegen die zugegeben sehr brave Melodie des Kinderliedes. Er brach die Dur- und Terzen-Seligkeit auf und veränderte die Akkorde mit farbigen Erweiterungen. Einen traditionellen Tango präsentierte Ugarte mit „La Cumparsita“ dann als Solist, aber auch hier nahm er sich viel virtuose Freiheit. Ugarte studierte Akkordeon und Oboe in Spanien und Deutschland. Anschließend machte er eine Ausbildung zum Dirigenten. Das Akkordeon spielt er seit Kindertagen. Als Komponist schrieb er mehrere Filmmusiken, unter anderem für „Das Wunder von Bern“. Till Brönner ist der international bekannteste deutsche Jazzmusiker. Er hat Jazz in Köln studiert. Stilistisch vielseitig bewegt er sich auch im Pop-Bereich. Als Jurymitglied einer Casting-Show wurde er auch außerhalb des Jazz bekannt. Im April 2016 wurde er von US-Präsident Obama zum Welttag des Jazz ins Weiße Haus eingeladen. Davon erzählte er auch in Ludwigshafen. Und wie in Washington stellte er den seiner Meinung nach größten deutschen Jazzmusiker aller Zeiten vor: Johann Sebastian Bach. Die Zugabe in Ludwigshafen war eine dezent angejazzte Version des Air aus der G-Dur Suite, natürlich mit einem Solo von Brönner.

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