Rhein-Pfalz Kreis Zum Anknabbern

Voll gelb: verfärbte Ulmenblätter im Herbst.
Voll gelb: verfärbte Ulmenblätter im Herbst.

«Schifferstadt.» Der Baum, vor den uns Volker Westermann stellt, ist ganz schön zottelig. Wild sieht er aus. Es ist eine Feldulme und sie hat Wasserreiser. Frauen haben Besenreiser, zumindest manche. Aber das nur nebenbei bemerkt. Wasserreiser sind wassertragende Triebe, die aus den älteren Ästen oder dem Stamm der Bäume entspringen. Sie können ein Zeichen dafür sein, dass es der Ulme nicht gut geht. Sie geschlaucht ist vom Schlauchpilz, der die Ulmenkrankheit auslöst. „Übertragen wird der aus Ostasien importierte Pilz unter anderem vom Ulmensplintkäfer. Der Baum wehrt sich gegen den Pilz, indem er die Wasserleitbahnen verschließt – sich quasi selbst den Saft abdreht. Die Folge ist, der Baum verdurstet“, erklärt Volker Westermann, der Bildungsförster vom Forstamt Pfälzer Rheinauen, der für uns in dieser Serie die Baumarten im Rhein-Pfalz-Kreis-Wald vorstellt. Allzu viele Ulmen findet man darin nicht mehr. Der Schlauchpilz ist schuld. „Umso wichtiger ist, dass wir die, die wir noch haben, bewusst wahrnehmen“, sagt der Förster. Das Wasserreiser-Exemplar steht nicht weit vom Schifferstadter Waldfriedhof entfernt im Wald. Und es ist wirklich ein beeindruckender Baum. Nicht nur wegen der wilden Zotteln. Groß ist er. Auffällig, urig geformt. Und möglicherweise bedroht. Generell stehen Ulmen auf der Roten Liste. Ob sie nun Feld-, Berg-, oder Flatterulmen heißen. „Bei uns hier wachsen aber nur die beiden Arten, die mit ,F’ beginnen“, klärt der Förster auf. Die Flatterulme fällt durch ihre breiten Brettwurzeln auf, die bei einheimischen Baumarten eher selten sind. Sie erlauben es ihr, nasse Füße zu bekommen. Die Flatterulme verträgt Überflutungen von mehr als 100 Tagen im Jahr. „Kein Wunder also, dass sie gerne in den Auwäldern herumsteht“, sagt Westermann und lacht. Die Flatterulme hebt sich nicht nur wurzeltechnisch von der Berg- und der Feldulme ab. Sie ist auch weniger geschlaucht. Der Ulmensplintkäfer fliegt sie nicht ganz so gerne an wie ihre Verwandten – Struktur und Inhaltsstoffe ihrer Rinde gefallen dem Insekt nicht, wollen Biologen festgestellt haben. Die Flatterulme schmeckt wohl nicht so gut. Ob der Hustensaft schmeckt, der aus der inneren Rinde der Berg- und Feldulmen, dem Bast, gewonnen wird, ist eine Frage, die unser Förster nur mit „ich weiß es nicht“, beantworten kann. „Habe ich jetzt ehrlich gesagt noch nicht probiert.“ Aber in alten Heil- und Kräuterbüchern tauche die Ulme als Medizinbaum immer mal wieder auf. Die Pflanzenschleimstoffe im Bast sollen diesen alten Schriften nach schleimlösend wirken. Zerkleinert und angefeuchtet wurde aus dem Bast ein Mittel gegen Brandwunden und Hautekzeme gemacht, berichtet Westermann. Die Rinde der Ulme war deshalb früher sogar in Apotheken erhältlich. Alte Kräuterbücher erwähnen außerdem den Ulmensaft. Gewonnen wird dieser über Läuse. „Sie ziehen den Baumsaft heraus und geben Teile davon wieder ab. Der Rüstersaft soll sehr gesund sein“, berichtet der Förster von seinen Nachforschungen. Blattlaus-Serum! Wenn’s hilft. Die Heilige Hildegard von Bingen versprach sich ebenfalls einiges von den heilenden Kräften der Ulme und hielt sie als Gichtheilmittel in großen Ehren. Sie behauptete auch, wer im Wasser bade, das vom Ulmenfeuer erwärmt wurde, würde frei von Bosheit und erfüllt von Fröhlichkeit und guten Sinnen. Klingt ja nicht schlecht. Was unser Förster aber ausprobieren will, bevor er Rüstersaft in der Badewanne trinkt: „Im Frühling einen Salat aus jungen Ulmenblättern essen. Direkt im Wald. Vielleicht habt ihr ja Lust mitzuprobieren.“ Er lacht und verfeinert gleich mal gedanklich den Ulmenblätter-Salat: „Wir garnieren ihn mit gerösteten Ulmenfrüchten. Die sollen wirklich lecker sein. Ökochips halt.“ Die Ulme – ein essbarer Baum! Und ein frühreifer. Ulmen blühen ganz früh im Jahr. Und schon im späten Frühjahr sind ihre Früchte, die Flügelnüsschen, reif. Die Blätter der Ulme sind auffallend asymmetrisch. „Was in der Natur völlig untypisch ist“, sagt Westermann. „Als der liebe Gott sie formte, muss er einen im Tee gehabt haben.“ Oder hatte er zu heiß im Ulmenfeuer-Wasser gebadet? Beim Stamm der Ulme kommen wir auf Westermanns Bett zu sprechen. Das, verrät er, sei aus Ulmenholz. Es ist damit eine Rarität, weil es kaum noch Ulmenholz gibt, nachdem Splintkäfer und Schlauchpilz zugeschlagen haben. Das harte Holz eignet sich gut für Möbel. Früher wurden auch Werkzeuge daraus geschnitzt. Das Holz der Feldulme war zudem bei Wagnern begehrt, die Räder und landwirtschaftliche Geräte fertigten. Nicht so begehrt ist das Holz der Flatterulme, weil es nicht so schön ist. Dafür kann sie mit den Brettwurzeln beeindruckend aussehen. An diese Brettwurzeln hat sich möglicherweise Orpheus gelehnt, der unter einer Ulme um seine Frau Eurydike getrauert haben soll. Ein trauriges Kapitel der griechischen Mythologie. Aus dem aber nicht hervorgeht, ob die Ulme eine Flatterulme war. Und apropos alte Griechen: Sie sahen in der Ulme den Baum des Götterboten Hermes. Mit Flügelhelm und Flügelschuhen – angelehnt an die Flügelnüsschen – geleitete er dem Glauben nach die Seelen der Verstorbenen zum Weltenrichter. „Spannend ist auch die Theorie aus der altnordischen Mythologie, nach der die Menschen aus Treibholz entstanden sind“, erzählt Westermann. Aus der Esche schufen die Götter den Mann. Und – was vielleicht die Sache mit den Wasser- und Besenreisern erklärt – aus der Ulme die Frau. Tja, und wie heißt es am Ende immer so schön: Wenn sie nicht gestorben sind, sitzen sie noch heute unter einer zotteligen Feldulme, wie sie im Schifferstadter Wald steht, und knabbern geröstete Flügelnüsschen.

Voll zottelig: Dieses Feldulmenexemplar steht im Schifferstadter Wald.
Voll zottelig: Dieses Feldulmenexemplar steht im Schifferstadter Wald.
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