Speyer Gewaltige biblische Geschichte

Gastspiel in der Westpfalz: Einen Tag vor dem Konzert in Speyer erklang der „Joshua“ in der Abteikirche Otterberg. Hier James Gi
Gastspiel in der Westpfalz: Einen Tag vor dem Konzert in Speyer erklang der »Joshua« in der Abteikirche Otterberg. Hier James Gilchrist (links) und Konstantin Wolff als Solisten. Rechts Joachim Weller am Pult.

Am Montag gingen die Internationalen Musiktage Dom zu Speyer in der Kirche St. Joseph mit einer Aufführung von Händels Oratorium „Joshua“ zu Ende.

Im Tanach, der hebräischen Bibel, beginnt mit dem Buch Josua der zweite Teil, der den Propheten gilt. Die Texte in dessen erster Hälfte, die vorderen Propheten, zu denen auch Josua gehört, sind weniger solche der Verheißungen, mehr Bücher zur Geschichte des Volkes Israel nach Moses. Sie zeigen Gottes große Taten an seinem Volk, in Josua etwa durch den Einsturz der Mauern der belagerten Stadt Jericho oder die Wundertat des Josua, der Sonne und Mond am Himmel stille stehen lässt.

In seinem Oratorium „Joshua“, mit dem nach einem Gastspiel am Sonntag in der Abteikirche in Otterberg am Montag die Internationalen Musiktage Dom zu Speyer in der Kirche St. Joseph zu Ende gegangen sind, findet der Komponist Georg Friedrich Händel dafür gewaltige Klangbilder.

Das auserwählte Volk

Der Erfolg der Oratorien des Halleschen Meisters im London des 18. Jahrhunderts wird ja gerne damit erklärt, dass das Publikum dort sich damals mit dem auserwählten Volk Israel identifiziert habe – und dass gerade im Fall des „Joshua“ in erster Linie der seinerzeit im Kampf gegen die schottischen Stuarts erfolgreiche Duke of Cumberland gehuldigt worden sei. Das mag alles richtig sein – und auch wenn ja mehr denn je bei uns das Interesse an den Royals groß ist: Man kann, darf, ja man soll diese Stücke auch als das hören, was sie in erster Instanz sind: biblische Geschichten in Musik.

Und dass eine solche bei der Aufführung des „Joshua“ in Speyer in mitreißender, ja wahrlich furioser Weise nachzuvollziehbar und erlebbar wurde, war vielleicht die größte Tugend einer ganz ausgezeichneten und außerordentlichen Einstudierung, die in der Lage war, das Publikum zweieinhalb Stunden lang zu fesseln.

Domkantor Joachim Weller stand am Pult eines in Bestform agierenden Speyerer Domchors, der den Anforderungen seines Parts in exzellenter Weise gerecht wurde, klar und deutlich im Ton, homogen im Klang und sicher im Satz sang.

Erstklassiges Orchester

Das Barockorchester L’arpa festante mit Christoph Hesse als Konzertmeister und Rien Voskuilen an Cembalo und Orgel war einmal mehr in allen Registern erstklassig besetzt. Vor allem aber spielte es dergestalt differenziert und vielfältig, dass alle Affekte der Musik Händels in idealer Weise auf den Punkt gebracht wurden.

Das Erhabene, das Grandiose, das Zarte dieser Musik – die Attribute zitiert nach der berühmten Rezension des „Messiah“ in Dublin – war in den betreffenden Teilen stets optimal vergegenwärtigt.

Dirigent Joachim Weller, der erst vor rund zwei Wochen die Leitung des Oratoriums übernommen hatte, überzeugte sehr am Pult. Er sorgte für einen ungebrochenen Spannungsverlauf, schlug fließende und innerliche belebte Zeitmaße an – und er gab der Musik eine weit gespannte dynamische Skala. Die erwähnten Wunderwerke hatten denn auch eine imposante Wirkung und sorgten für den sprichwörtlichen Gänsehauteffekt.

Phänomenaler Joshua

Das Stück heißt ja nicht umsonst „Joshua“, auch wenn dieser gar nicht so viele Arien zu singen hat. Aber neben dem Volk, also dem Chor, steht er im Zentrum des Geschehens. Und mit James Gilchrist hatte die Dommusik einen Sänger engagiert, der diese Partie wie kein anderer mit Spannung und Leidschaft erfüllt. Neben Paul Agnew und Mark Padmore ist James Gilchrist heute zweifellos der führende englische Sänger in seinem Fach – und das war in Speyer auf phänomenale Weise zu erfahren.

In einer der mittlerweile erstaunlich zahlreichen CD-Aufnahmen des Werks aus Köln ist Gilchrist in der Titelrolle zu hören, dort singt wie jetzt in Speyer Konstantin Wolff den Caleb. Der in Karlsruhe ausgebildete Sänger gefiel auch jetzt wieder durch seine sehr kultiviert geführte Stimme und einen entsprechend noblen Vortrag der Vaterrolle.

Der Countertenor und Musikwissenschaftler David Erler ist in Speyer bei beiden Konfessionen kein Ungekannter, er kommt auch im Mai schon wieder. Dem Othniel, der in diesem Oratorium Krieger und gefühlvoll Liebender gleichermaßen ist, gab er mit filigranen Gesangslinien und großem Stilgefühl überzeugende Gestalt.

Die Sopranistin Joowon Chung ist auch oft in Speyer. Gerade erst war sie mit dem Ensemble Polyharmonique im Dom. Die Partie der Achsah sang sie ebenso anmutig im Ton wie mit wundervollen Gesangslinien.

Wie schon Händel wusste, ist der später als Weihnachtslied „Tochter Zion“ populär gewordene Chor „See, the conquo“ring hero comes!“ aus „Joshua“ ein Hit geworden. In der Speyerer Aufführung wurde er sehr pointiert präsentiert und verfehlte denn auch seine Wirkung nicht.

Daniel Roths Orgelkonzert

Am Morgen des Konzerttages wurde bekannt, dass sein Sohn François-Xavier Roth ab 2025 neuer Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters wird: eine sicher erfreuliche Sache für Daniel Roth vor seinem abendlichen Auftritt im Sendegebiet des SWR, im Speyerer Dom. Nach zwei Tagen Meisterkurs gab der international gefeierte und anerkannte Organist, der aus dem Elsass stammt und Ende des Monats 80 Jahre alt wird, sein mit Spannung erwartetes Konzert im Rahmen der Musiktage und zugleich als Höhepunkt des Orgelzyklus 2022 am Dom. Die Kathedrale war voll besetzt, das Interesse an dem Orgelspiel von Daniel Roth groß. Und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

Der Titularorganist von Saint-Sulpice in Paris hatte ein französisches Programm konzipiert mit Camille Saint-Saens, dessen 100. Todestag 2021 gedacht wurde, und César Franck, der heuer vor 200 Jahren geboren wurde. Im Praeludium hatte der Organist betont, dass er die Orgelmusik von Saint-Saens für zu Unrecht unbelichtet erachtet und dass er sie deshalb in Gestalt von Prélude et Fugue op. 109 Nr. 3, der Fantaisie Des-Dur op. 101 und des für die Orgel bearbeiteten Scherzos op. 8 Nr. 5 in Speyer spielen wird. Die Wiedergaben von Daniel Roth waren dann nicht nur ein Plädoyer für diese Stücke, sie waren vor allem ein Ausweis für die überragende Gestaltungskraft des Musikers und seinen extraordinären Klangsinn, der aus der Orgel ganz ungeahnte Farben hervorzuzaubern weiß. Dabei, auch das hatte Daniel Roth im Vorgespräch gesagt, ist für ihn der Komponist und dessen Niederschrift die alleinige Autorität. Jede subjektive und äußerliche virtuose Haltung ist ihm fremd.

Grandiose Intensität

Das hört und spürt man auch deutlich, aber gerade durch die Fähigkeit des Musikers, große, weiträumige Orgelmusik spannungsvoll zu entfalten und kleine Charakterstücke superb auf den Punkt zu bringen, hat sein Spiel eben doch die Aura des ganz Außerordentlichen und zudem eine grandiose Intensität. Das zeigte sich erst recht in dem zentralen Werk seines Speyerer Programms, seiner eigenen breit angelegten „Hommage à César Franck“, 1990 zu 100. Todestag Francks komponiert. Roth hat hier Themen Francks bearbeitet und in dessen Geist einen Choral nachempfunden. Das Ergebnis ist Orgelmusik von geradezu kosmischer Dimension – und damit das ideale Gegenstück zu Daniel Roths Orgelfassung von César Francks Orchesterstück mit dem Titel „Rédemption“ (Erlösung), dass er nicht nur faszinierend für sein Instrument gesetzt hat, sondern bei dem er gerade durch seinen in der Tat ganz klaren und schlichten Vortrag die Metaphysik dieses Stücks offenbar werden ließ.

Es wundert nicht, dass auch Daniel Roths Improvisation zu einem faszinierenden musikalischen Eindruck in Gestalt und Farbigkeit wurde. rg

Schon das Praeludium im Königschor fand großes Interesse: Daniel Roth (Mitte) stellt sich den Fragen von Domorganist Markus Eich
Schon das Praeludium im Königschor fand großes Interesse: Daniel Roth (Mitte) stellt sich den Fragen von Domorganist Markus Eichenlaub (rechts) und Klaus Gaßner.
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