Speyer „Ich will doch kein Krimineller sein“

Vor dem Schöffengericht im Amtsgericht Speyer stand am Mittwoch ein Mann aus Hofheim im Taunus, der am 25. Mai letzten Jahres im Drogeriemarkt Müller Parfüm in Wert von etwa 400 Euro gestohlen hatte. Dass er die Verkäuferin, die ihn am Ausgang aufhalten wollte, beiseite gestoßen hatte, machte die Tat zu einem räuberischen Diebstahl und damit zu einem wie Raub zu bestrafenden Verbrechen, womit am Ende nicht nur Verteidiger Jan Fritz, sondern auch Gericht und Staatsanwalt zu kämpfen hatten.

Was für ein heulendes Elend saß da auf der Anklagebank: Aus dem 48-jährigen, in Kasachstan Geborenen, der aus der Haft vorgeführt wurde, floss ein wilder Redeschwall auf Russisch, von Schluchzen und Schniefen unterbrochen. Die Dolmetscherin, die kaum nachkam, erläuterte, es sei schwierig, er spreche wie ein Kind und sehr durcheinander. Sein Kopf sei nicht in Ordnung, meinte der Angeklagte, nur er habe das Problem, sein Bruder nicht, und verlor sich wieder in endlosen Details. Immer wieder musste Richterin Alexandra Umealo-Wells ihn zum Thema zurückbringen, er schien kaum fähig, Fragen wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Allerdings gab es keine Zweifel an der Tat, nicht nur war sie durch Video-Überwachung dokumentiert, sondern der Angeklagte bekannte sich wiederholt und in wilden Schuldbekenntnissen dazu. Obwohl er nur wenig deutsch spricht, war er schon als Kind mit seiner Mutter nach Deutschland gekommen. Die beiden lebten in einer Wohnung, bis die Mutter starb. Sie hatte offenbar auch das Geld verwaltet und, laut ihrem Sohn, für ihn gespart. Als er die für ihn bestimmten Ersparnisse haben wollte, hätten ihn seine Neffen verprügelt. Eine Betreuerin kümmert sich um seine Angelegenheiten, die war aber telefonisch nicht zu erreichen. Nach dem Tod der Mutter war er offenbar mit dem Leben gar nicht mehr klar gekommen. Dann habe er Kokain genommen, seit ungefähr drei Jahren, was seine finanziellen Möglichkeiten schnell überstieg. Die Marokkaner, die ihm das Kokain verkauften, hätten ihm gesagt, was er stehlen sollte – und auch, wie er es anstellen musste. Für die Ware sollte er Kokain erhalten. Er hatte das Parfüm in eine mit Alufolie ausgeschlagene Plastiktüte gepackt, war dabei aber von der Mitarbeiterin beobachtet worden. So kam es zu dem Stoß, als sie ihn aufhalten wollte. Der Angeklagte hatte durchaus eine längere Vorstrafenliste aufzuweisen, aber alles kleinere Delikte, die mit Geldbußen bestraft wurden. Weil er die letzte nicht bezahlt hatte, saß er nun ersatzweise im Gefängnis. Er flehte das Gericht an, ihn nicht ins Gefängnis zu stecken, „da verliere ich mein bisschen Verstand auch noch.“ Dort ginge es ihm schlecht, er würde nur ein schlechterer Mensch dadurch. „Ich will kein Krimineller sein!“ brach es unter Schluchzen aus ihm heraus. „Wenn ich vom Arzt behandelt werde und kein Kokain nehme, stelle ich auch nichts mehr an, ganz bestimmt nicht, das verspreche ich!“ Eine Therapie sei allerdings schwierig, wenn man kein deutsch spreche, meinte die Richterin. Was er denn habe, fragte sie. Er wusste nur dass er Tabletten nehmen müsse. Ob er eine psychische Krankheit habe oder schlicht minderbegabt sei, blieb unklar. Bei der Tat selbst stand er unter Drogeneinfluss. In seltener Einigkeit erfolgte das Urteil entsprechend den Anträgen von Staatsanwalt und Verteidiger: Ein Jahr, zwei Monate, zur Bewährung ausgesetzt.

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