Speyer Waltraud M. Stalbohm beim Kunstverein

„Alma 22“ (Detail).
»Alma 22« (Detail).

Waltraud M. Stalbohm malt und denkt am liebsten groß. 26 Bilder, Plastiken und Objekte stellt die Künstlerin aus der Nähe von Hamburg unter dem Titel „ausencias“ – Abwesenheiten in den Räumen des Speyerer Kunstvereins aus.

Ihre intensive Auseinandersetzungen mit Opfern und Auswirkungen des Nationalsozialismus hinterlässt Spuren. Wie sie die früheuropäische Tafelmalerei auszeichnet, ist Eitempera auch Stalbohms bevorzugte Technik. „Für Öl fehlt mir häufig die Geduld“, sagt sie. Für Plastiken und Objekte setzt die Künstlerin Steinguss, Blei, Gips und Stoff ein. In ihrem Atelier umgibt sie sich mit Musik, hört Lieblingskomponisten wie den argentinischen Bandoneon-Spieler „ohne Ende“. „Alles, was ein Leben hergibt, drückt er in seiner Musik aus“, ist Stalbohm überzeugt.

Verschwundene Seelen holt die Künstlerin zurück auf die Leinwand. Mundtot gemacht, gefangen genommen, verfolgt und ermordet sind sie weder sichtbar noch hörbar. Leere Stühle stehen für die, die nicht mehr da sind. Ein kleines Mädchen blickt traurig auf den Betrachter herab, auf einem Leinwand großen Gesicht bildet Stalbohm Leid und Pein ab, eine Getötete nimmt den Raum ein, hängt an Drahtfäden, schutzlos, ohne Würde. „Sulamith“ ist ihr Name, entnommen der „Todesfuge“ des Lyrikers Paul Celan. Würde ist ein großes Thema der Künstlerin. Die Interpretation der Geschehnisse, die zum Tod geführt haben, überlässt sie dem Betrachter.

„Kunst ist Drama“

Auf der Grundlage des ersten Satzes der ersten Sinfonie von César Frank hat Stalbohm die überdimensionale Arbeit angelegt, in der sich Klänge sichtbar macht, die sich himmelsgleich über Kratern und Tälern erheben.

„Oleg“, den jungen Ukrainer, der sich auf einer der Stelen erhebt, hat die Künstlerin in den Fernsehnachrichten gesehen. Zur Zeit der Krim-Besetzung sei er verhaftet und zu Jahren in Sibirien verurteilt worden, berichtet sie von ihrer Erschütterung über „so viel Unrecht“.

„Kunst ist Drama“, ist Stalbohm überzeugt. Ein eindrucksvolles Beispiel hängt 24-fach im Kabinett des Kunstvereins. Der „Klang der Stille“ wird beim Anblick der eigenwilligen Nachbildungen erkennungsdienstlichen Fotografien der Kinder von Auschwitz bleischwer. Wer dazu Pablo Casals „Song Of The Birds“ aus den bereitgestellten Kopfhörern aufnimmt, verstummt vor Scham und Entsetzen über das Unsagbare, das Menschen Menschen angetan haben. Licht am Ende des Tunnels fällt in das Objekt, in dem die Künstlerin Geigen-, Cello-, Kontrabass- und Gitarrensaiten gehängt hat.

Viel Raum für Gedanken

In ihrem „Traum“ liegt die Tänzerin entspannt am Boden. Hände und Füße sind durch Fäden verbunden, sie scheint zu schlafen nach kreativer Arbeit. Entspannung findet der Betrachter zwischen Stalbohms Arbeiten. Die Künstlerin lässt viel Raum für Gedanken, Interpretationen und Gefühle. „Ausencias“ ist keine leichte Kost, aber ein Muss für die Nachgeborenen, die, die sich einlassen können und wollen auf ein Grauen, das auch die Künstlerin nicht erlebt und deshalb nur erahnen kann.

In ihrer Erinnerung hat sich die 77-Jährige schon immer der Kunst verschrieben. Zwei Studien in Berlin und Hamburg hat sie bis Ende der 70er-Jahre absolviert, danach wenig gemalt, um Zeit für die Kinder zu haben. Politischen Hintergrund haben ihre Bilder, Plastiken und Objekte stets. Hinzu kommen Momentaufnahmen aus Stalbohms Leidenschaft für Tanz und Theater. „Solche Szenen sind eigentlich nicht plastisch darzustellen“, sagt sie und beweist in Bilderrahmen und auf Stelen das Gegenteil.

Info

Ausstellung zu sehen vom 5. Juli bis 1. September im Kunstverein Speyer, Flachsgasse 3. Geöffnet donnerstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.
Eröffnung Freitag, 5. Juli 18 Uhr, Einführung Katja Edelmann.

„Oleg“ (Detail).
»Oleg« (Detail).
„Figur mit Kappe“ (Detail).
»Figur mit Kappe« (Detail).
„Frau mit Umhang“ (Detail).
»Frau mit Umhang« (Detail).
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