Zweibrücken Lieder in dunkeldeutschen Zeiten

Wolfgang Niedecken spielt mit Bap auch mit 67 Jahren Konzerte, die länger als drei Stunden dauern.
Wolfgang Niedecken spielt mit Bap auch mit 67 Jahren Konzerte, die länger als drei Stunden dauern.

Gibt Wolfgang Niedecken Konzerte in der Saarlandhalle, ist das wie ein Abend unter Freunden. Leider sind am Donnerstag nicht so viele gekommen. Der bestuhlte Innenraum ist voll besetzt. Doch auf den Rängen ist nicht mal die Hälfte der Plätze belegt. Auf die Spielfreude der Band wirkt sich das nicht aus. Es war wieder ein Fest.

Vor zwei Jahren feierte Niedeckens Bap in der Saarlandhalle, den 40. Bandgeburtstag. Der damals 65-Jährige Bandchef deutete an, dass er noch den 50. schaffen wird. Es bleibt zu hoffen, dass das gelingt. Denn Niedecken hat aus der langen Bandgeschichte sicher noch viel zu bieten. Jetzt ist er 67. Da würde es genügen, das Publikum mit den größten Erfolgen zu beglücken. Doch Stillstand ist der Tod der Kreativität. Deshalb kleidet Niedecken alte Hits in veränderte Gewänder. Diesmal begleitet seine Stammmusiker – Bassist Werner Koppal fehlt wegen einer wohl gut zu behandelnden Krebserkrankung – ein dreistimmiger Bläsersatz: Axel Müller, Christoph Moschberger und Johannes Goltz sorgen für neue Töne. Schon lange nicht mehr hören konnte man „Diss Naach ess alles drin“; aus „Zwesche Salzjebaeck unn Bier“ von 1984. Markus Stockhausen - Trompeter, Musiker und Komponist – hatte damals hierzu ein Intro und ein tolles Trompetensolo eingespielt. Live war das aber immer schwer wiederzugeben. An Stockhausens Stelle tritt nun Christoph Moschberger, der im Zusammenspiel mit der Band für das erste atemberaubende Ausrufezeichen sorgt. Auf die Bläser gekommen ist Niedecken in New Orleans. Dort nahm er 2017 „Reinrassije Strooßekööter – Das Familienalbum“ auf. 13 alte Titel, die mit Niedeckens Familie zu tun haben, wurden hierfür neu instrumentiert.Die Bühne wird folgerichtig mit Familienbildern beleuchtet, die zum Teil 100 Jahre alt sind. Sie ist gestaltet, wie die Front eines Südstaatenhauses. Das verbreitet Fernweh und Urlaubsstimmung. Es entfaltet sich ein vorerst entspannter Konzertabend. Doch unter die Leichtigkeit mischt sich ohne Vorwarnung Düsternis. Bap stürzt sich in das „Bahnhofskino“. Niedecken ordnet das Lied der „Kristallnaach“ zu, seiner berühmten Stellungnahme über eines der zu vielen dunklen Kapitel des Dritten Reichs. Dem harten Tobak um das „Bahnhofskino“ folgt „Jupp“. Der Song erzählt von einem Mann, der sich seine eigene Fantasiewelt zusammenreimt, um so dem Trauma von Stalingrad im Zweiten Weltkrieg zu entkommen. Das Finale des Bap-Klassikers ist kaum zu ertragen. Sönke Reich spielt extrem harte Trommelschläge. Sie erinnern an Untermalungen zu Hinrichtungen in Filmen. Erschütternd. Interessant ist, dass während der 199 Konzertminuten unter 30 Liedern nur 13 Hits zu hören sind. Man merkt das aber eigentlich nicht. Zu spannend ist das Zusammenspiel der neunköpfigen Band. Eine Wucht ist, wie viele unterschiedliche Instrumente, bis hin zur Duduk, einem afrikanischen Blasinstrument, zum Zuge kommen. Auf einen Balladenblock, unter anderem mit dem wunderschönen „Do kanns zaubere“, und danach „Nemm mich met“, folgt ein weiteres Stück unerträglicher Lebensrealität. Niedeckens Abfuhr an Hungersnöte, Inflation, Gotteskrieger und Korruption, ist dem Sänger in „Absurdistan“ so wichtig, dass er den Titel zum Teil in hochdeutsch singt. Vor „Vision vun Europa“, worin er das tragische Ende einer Flucht zweier Brüder aus Timbuktu beschreibt, sagt Niedecken doch ein Paar Worte zur Stimmung auf der Welt. Der Anstand - eines seiner Lieblingsworte - „verbietet es, Menschen im Meer ertrinken zu lassen“. Niedecken warnt davor, dass es naiv sei, „zu glauben, dass Mauern und Zäune eine Völkerwanderung nach Europa verhindern können“. Nur das Entwickeln eines lebenswerten Lebens in Afrika werde das verhindern. „Kristallnaach“ und die Hymne gegen Neonazis, „Arsch huh, Zäng ussenander“ folgen danach ohne weitere Erklärung. Die Musik und der Gesang im Publikum sprechen für sich selbst. Der Abend endet mit einem im T-Shirt des 1. FC Saarbrücken singenden Niedecken, vor dem Konzert überreicht von „Dirk Lottner Fußballgott“. Als Rauswurf dienen die Songs „Nix wie bessher“, „Aff un zo“, „Verdamp lang her“ und „Jraaduss“. Ein schönes Finale. Auch in dunkeldeutschen Zeiten.

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