Leitartikel Kritik von Historikern an der SPD: Peinlich für Mützenich

Heinrich August Winkler hielt am 8. Mai 2015 während einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs v
Heinrich August Winkler hielt am 8. Mai 2015 während einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren die Hauptrede.

Die Kritik von fünf Historikern an der Russland-Politik der SPD trifft einen Nerv, weil sie entscheidende Schwachstellen benennt. Noch mehr als um den Kanzler geht es dabei um den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion.

Ein Brief von fünf Historikern, die alle der SPD angehören und scharfe Kritik an der Russland-Politik ihrer Partei üben, hat enormen Wirbel ausgelöst. Das liegt wohl vor allem daran, dass einer der fünf eine Art Super-Promi ist: Heinrich August Winkler ist sicherlich der derzeit renommierteste lebende Historiker Deutschlands. Etwas pointiert gesagt, hat er in der deutschen Geschichtswissenschaft eine ähnlich überragende und weithin respektierte Position wie Fritz Walter im deutschen Fußball der 1950er-Jahre. Dies wurde besonders deutlich, als er am 8. Mai 2015 im Bundestag die Hauptrede zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 1945 gehalten hat.

Bekannt ist er vor allem für das Werk „Der lange Weg nach Westen“. Darin geht es darum, wie Deutschland unter großen Schwierigkeiten die Vorbehalte gegen die westliche Demokratie überwand und schließlich ein respektiertes Mitglied der westlichen Gemeinschaft wurde. Als Historiker seiner eigenen Partei war Winkler nie unkritisch, aber doch auf hohem intellektuellen und wissenschaftlichen Niveau deutlich sympathisierend. Die SPD kann stolz sein, eine solche Persönlichkeit in ihren Reihen zu haben.

Kritik an Ralf Stegner und Rolf Mützenich

Umso mehr trifft die Parteiführung nun die massive Kritik, die Winkler und seine Kollegen äußern. Im Visier ist dabei offensichtlich nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz, sondern noch mehr der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Rolf Mützenich. Der löste jüngst viel Wirbel mit Überlegungen aus, den Krieg in der Ukraine „einzufrieren“.

Einer der Unterzeichner des Brandbriefs, Jan Claas Behrends, sagte dazu in einem Interview mit dem „Spiegel“: „Mit den Minsker Vereinbarungen 2014 und 2015 hat die internationale Gemeinschaft zweimal versucht, den Krieg in der Ostukraine ,einzufrieren’, was spektakulär gescheitert ist. Die Russen fühlten sich ermuntert weiterzumachen – Minsk war nichts weniger als die Rutsche in den großen Krieg.“ Einigen seiner Parteifreunde wirft Behrends zudem vor, an Fachkompetenz nicht mehr interessiert zu sein: „Der Umgang von Teilen der Partei mit Intellektuellen ist mittlerweile sehr populistisch. Gerade was die Genossen Ralf Stegner und Rolf Mützenich angeht, fühlt man sich ein bisschen an Donald Trump erinnert, der Expertise generell als falsch oder gefährlich abtut.“

Zentrale Teile der Realität werden ausgeblendet

Damit wird eine peinliche Schwachstelle in der Haltung von Mützenich offen gelegt, die zwar gut geeignet ist, die verständliche Sehnsucht nach einem baldigen Ende des Krieges aufzugreifen, aber dabei zentrale Teile der Realität ausblendet. In dem Brief der fünf Historiker heißt es dazu treffend: „Die Vorstellung, Risiken würden allein durch Zurückhaltung minimiert, ignoriert die Eskalationsgefahr, die entsteht, wenn Putin keine Grenzen gesetzt werden.“ Putin habe nur dann ein Interesse daran, den Krieg zu beenden, „wenn ihm die notwendige Stärke entgegengesetzt“ werde.

Diese Argumentation ist sehr plausibel und hängt eng mit dem strittigen Thema Waffenlieferungen zusammen. Bundeskanzler Scholz sollte es sehr irritieren, dass er für seinen Kurs nun teilweise Beifall von der AfD bekommt, aber kaum von den Parteien, die zu Deutschlands Weg nach Westen mit Politikern wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Hans Dietrich Genscher und Joschka Fischer beigetragen haben.

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