Sport Kämpfe, Kristina!

Kristina Vogel: eine absolute Frohnatur, ein Vorbild. Am Dienstag  in Cottbus konnte Deutschlands beste Bahnradfahrerin bei extr
Kristina Vogel: eine absolute Frohnatur, ein Vorbild. Am Dienstag in Cottbus konnte Deutschlands beste Bahnradfahrerin bei extrem hoher Geschwindigkeit einem niederländischen Nachwuchsfahrer nicht mehr ausweichen.

Kristina Vogel, 27 Jahre jung, dreifache Olympiasiegerin, elffache Weltmeisterin, ist die schnellste Frau der Welt auf dem Rennrad. Diese Woche schlug das Schicksal erbarmungslos zu. Die Ausnahmeathletin verunglückte beim Training so schwer, dass ihre Karriere infrage steht.

Ihre Familie bittet darum, die Privatsphäre zu respektieren. Das gelingt nicht immer. Doch die Absprache zwischen ihr, dem Unfallkrankenhaus in Berlin-Marzahn, wo sie notoperiert wurde, dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) und Kristina Vogels Manager Jörg Werner funktionieren zielführend: Es muss Ruhe einkehren, Spekulationen dürfen keinen Platz finden. Dass sie im künstlichen Koma liegt und ihr Zustand stabil ist, das muss reichen als Information. „Zum vollen Umfang der Verletzung kann man seriös noch nichts sagen. Da muss man abwarten“, sagt Jörg Werner. Die gesamte Radsportfamilie weltweit steht unter Schock. Sie ist zusammengerückt. Schicksale schweißen nun mal zusammen, machen stark – und das ist gut so. Unter dem Hashtag #staystrongkristina wurde eine Crowdfunding-Aktion gestartet, weil sie offenbar notwendig ist. Auf einem Aushang ist die Dringlichkeit festgehalten: „Kristina wird viel Rehabilitation brauchen, um zurück ins Leben zu kehren. Unser Ziel ist es, 50.000 Euro zu sammeln.“ Das wird auch alle Menschen angehen, die in zehn Tagen die deutschen Bahnrad-Meisterschaften in Dudenhofen besuchen. So wie sie am Freitag und gestern beim Großen Preis von Deutschland in Cottbus berührt waren, eben dort, wo Kristina Vogel verunglückte. Dass der Wettbewerb stattfand, ist ein großes Zeichen.

Viele Radsportler nehmen Anteil

Keiner musste teilnehmen, es war freiwillig. Die Veranstaltung wurde auch nicht aus wirtschaftlichen Gründen durchgezogen, sondern basierte auf dem Bedürfnis der Fahrerinnen und Fahrer: „Es ist ein Stück Verarbeitung – gezwungenermaßen“, sagte Maximilian Levy, ein großer Radsportler, eine Leitfigur und einer der besten Freunde von Kristina Vogel. „Es war, als wäre Kristina bei mir gewesen“, sagte er nach seinem Bahnrekord am Freitag. Trotz allem. So wie das Leben weitergeht, so geht auch der Bahnradsport weiter, der plötzlich mehr denn je im Fokus steht. Obwohl er eine der erfolgreichsten Sportarten in Deutschland ist, haben sich Journalisten noch nie und in dieser Vielzahl um ihn gekümmert wie gerade jetzt. Irgendwie typisch, aber irgendwie auch arm.

"Unfälle einfach nicht auszuschließen"

Es kann gut sein, dass dieser tragische Unfall den Bahnradsport verändern wird. Der Sportdirektor des Bundes Deutscher Radfahrer, Patrick Moster (51) aus Landau, glaubt mehr denn je an ihn: „Ich spüre einen großen Zusammenhalt in diesen schweren Stunden. Wir Radsportler sind sehr mitgenommen, aber wir rücken näher zusammen. Alle lieben diesen Sport. Wir werden ihn weiter mit großer Leidenschaft nach außen tragen. Ich finde es richtig, dass in Cottbus gefahren wurde.“ Moster verwies darauf, dass der Unfall aufgrund der Verkettung vieler unglücklicher Umstände geschah. „Wir haben einen eigentlich gut organisierten Trainingsbetrieb. Die Zeiten sind festgelegt, die Trainer regeln das Geschehen. Dennoch: Unfälle sind einfach nicht auszuschließen.“ Das ist eine realistische Sichtweise. Manch einem mag nun durch den Kopf gehen: „Ausgerechnet Kristina.“ Was wäre denn, wenn es einen unbekannten Juniorenfahrer getroffen hätte? Wäre die Sache nach drei Tagen abgehakt? Bei einer der letzten WMs wurde ein unschuldiger amerikanischer Schiedsrichter im Wettkampf von einer Fahrerin umgefahren. Er erlitt einen Schädelbruch, war Monate schwer krank. Eine Randnotiz nur. Es kann jeden treffen, und kein Mensch ist mehr oder weniger wert als der andere. Und doch: Dieses „Ausgerechnet Kristina“ ist eben auch verständlich.

Erfolge durch unglaublichen Kampfeswillen erzielt

Bis zu dem Moment, in dem sie am Dienstag mit sehr hoher Geschwindigkeit wie gegen eine Wand fährt und ohne Knautschzone von einem Moment zum anderen aus ihrem Alltag gerissen wird, ist sie die schnellste Frau der Welt. Sie liebt den Rausch der Geschwindigkeit auf zwei Rädern. Dafür trainiert sie. Sie liebt jede Bewegung, jede Umtriebigkeit. Sie – der Wonneproppen, der Gute-Laune-Mensch, das Vorbild. Sie – und das macht das Ganze besonders und lässt auch so sehr hoffen – verunglückte vor neun Jahren, damals 18 Jahre alt, schwer, als ein Auto sie brutal umfuhr. Aber sie sprang dem Schicksal von der Schippe. Mehr noch: Sie hat es mit unglaublichem Kampfeswillen und großer Fürsorglichkeit ihres Umfeldes und aller Betreuer aus allen medizinischen Abteilungen einfach umgedreht – in drei Olympiasiege und elf Weltmeistertitel. Kristina Vogel startete aus dem Tal der Tränen durch. Bis ganz nach oben auf Wolke sieben. Unvergessen bleibt dieser Tag im April 2012 in Melbourne: der WM-Titel im Teamsprint mit Miriam Welte aus Otterbach. Die beiden fuhren zweimal Weltrekord, die beiden schrieben die erste Seite eines Märchens. Und jetzt soll das Märchen zu Ende gehen, im Zweifel ohne Happy End? Keiner möchte das glauben.

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