Sport Von Liebe und Glück

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Leipzig. Vergangene Woche hat Handball-Bundestrainer Christian Prokop die Amtsgeschäfte übernommen. Zum Start gab es eine Niederlage und ein Unentschieden gegen Schweden.

In einem belebten Café am Marktplatz in Leipzig hat Prokop ein Heimspiel. Seit Jahren lebt er in der Stadt, geboren und aufgewachsen ist er im etwa 70 Kilometer entfernten Köthen. Vielleicht sitzt der neue Bundestrainer deshalb entspannt am Tisch. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er einfach neugierig ist, was auf ihn zukommt – im folgenden Gespräch und in den kommenden Jahren. Romeo und Julia, das bekannteste Liebespaar der Literaturgeschichte, sind bereit, für ihre Liebe zueinander in den Tod zu gehen. Bei William Shakespeare endet die Liebe der beiden tragisch, und davon ist Christian Prokop bislang verschont geblieben. Der Trainer ist nicht bereit, für seinen Sport zu sterben, aber er hat außerordentlich viel gewagt, um weiterhin Handballer sein zu können. Er ließ sich die Knochen brechen. Ganz so martialisch, wie es im ersten Moment klingt, hat sich die Sache im Jahr 2002 nicht abgespielt, aber sie war doch ungewöhnlich. Wegen eines irreparablen Knorpelschadens im linken Knie ließ sich Prokop während einer Operation den Oberschenkelknochen brechen, um durch eine veränderte Beinstellung die Belastung für das lädierte Kniegelenk zu verringern und anschließend weiterhin Profihandball spielen zu können. In den Monaten nach der Operation trainierte er sich zudem zu einem Linkshänder um, um fortan hauptsächlich mit dem rechten Bein abspringen zu können. Es muss einer großen Liebe für den Sport bedürfen, um eisern an dieser Umstellung zu arbeiten. „Ja, ich liebe den Handball“, sagt Prokop. Zurück auf die ganz große Bühne als Spieler schaffte es Prokop nach der intensiven Reha nicht mehr, doch der einstige B-Nationalspieler ist froh, alles dafür getan zu haben. „Der Handball schenkt mir Gefühle und Emotionen, die andere Menschen vielleicht nur ein paar Mal im Leben erleben, immer wieder aufs Neue“, formuliert Prokop seine ganz persönliche Liebeserklärung. Er meint Momente wie einen Siegtreffer in allerletzter Sekunde. Der 38-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder – er kann also Vergleiche ziehen. Er liebt seine Familie – und er liebt seinen Beruf, dem er nach dem erzwungenen Laufbahnende treu blieb. Wenn man die Episode mit der freiwilligen Operation, den Knochenbrüchen und der Umstellung vom Rechts- zum Linkshänder kennt, sind die Beschreibungen ehemaliger Mitstreiter über den neuen Bundestrainer leicht nachvollziehbar. Immer wieder fallen die Begriffe „Hingabe“, „Leidenschaft“, „Akribie“ oder „positive Verrücktheit“, um den Mann zu beschreiben, der in der Geschichte des Deutschen Handballbundes (DHB) der jüngste Cheftrainer der Männermannschaft wurde. Er ist jung an Jahren, aber nicht unerfahren. Seit 2004 arbeitet Prokop als Trainer und hat nicht in den großen Hallen des Landes begonnen, daran zu feilen, seine Idee vom Spiel auf eine Mannschaft zu übertragen. Prokop trainierte zunächst Eintracht Hildesheim, den MTV Braunschweig und den TSV Hannover-Anderten. Dort also, wo man eher eine Kiste Bier am Ende des Trainings in der Kabine erwartet als eine Videoanalyse. Später folgten Jobs beim SV Post Schwerin, dem SC Magdeburg II und TuSEM Essen, ehe er seit 2013 mit dem SC DHfK Leipzig ins Scheinwerferlicht drängte. Parallel zum erstaunlichen Aufschwung der Leipziger, die schon im zweiten Jahr in der Bundesliga etabliert scheinen, geriet Prokop in den Fokus der Handball-Welt und weil er längst zu den größten Trainertalente in Deutschland zählte, überraschte die Begierde des Verbandes nur Nichtexperten, als er als Nachfolger für Dagur Sigurdsson verpflichtet werden sollte. Der DHB zahlt den Leipzigern etwa eine halbe Million Euro Ablöse, um den Wunschtrainer zu bekommen und mit einem Vertrag bis 2022 auszustatten. Im Handball ist das eine immense Summe. Prokop soll sie indirekt zurückzahlen, in dem er die Nationalmannschaft noch ein bisschen besser macht, damit die hohen Ziele bei der Heim-Weltmeisterschaft 2019 und den Olympischen Spielen ein Jahr später keine Träumereien bleiben. Prokop spürt das Gefühl des Glücks, weil er die Möglichkeit bekommen hat, mit den besten Handballern des Landes arbeiten zu können – er empfindet es als Privileg. Auf dem Handballfeld wird es in den kommenden Jahren darum gehen, sich vom Glück zu emanzipieren. „Es ist mein Ziel, nicht abhängig vom Glück zu sein“, erklärt Prokop. In Leipzig hat er bewiesen, dass er sich fachlich und taktisch auf Top-Niveau bewegt. Mit der deutschen Auswahl möchte er weiterhin schwer ausrechenbaren Angriffshandball spielen lassen und in der Abwehr noch etwas variabler werden. Den Spielstil Sigurdssons soll nicht umgewälzt sondern weiterentwickelt werden. Die Voraussetzungen stimmen, dass der zuletzt überaus erfolgreiche Weg mit dem neuen Bundestrainer nicht vorbei ist. Schließlich, so heißt es im Volksmund, vermag die Liebe Flügel zu verleihen.

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