Kultur Südpfalz Leerstände überspielt

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Ein Tusch auf das Chawwerusch! Besser als beim „Theaterbummel“, zu dem das „professionelle Theaterkollektiv“ am Sonntag entlang der Herxheimer Hauptstraße eingeladen hatte, hätte die neue Spielzeit nicht eingeläutet werden können. Viele leerstehende Geschäfte verwandelten sich in Kleinkunstbühnen, wo das Motto „mit anderen Augen“ über die Theaterinhalte hinaus auch auf die sonst völlig ungenutzten Locations und die Lücken in der Infrastruktur übertragen wurde.

„Guck mol, do kummen Leit raus, do werd glei widder was losgehe“ – gibt ein Herr mittleren Alterns in fast konspirativem Ton seiner Begleiterin den entscheidenden Fingerzeig zum nächsten Theaterevent. Welche Nummer das Gebäude, aus dem jetzt viele lachende Menschen quellen, trägt und was da in den nächsten fünf bis fünfzehn Minuten geboten wird, hat er auf seinem Plan vor lauter Aufregung, bloß nichts zu verpassen, gar nicht erst ausgekundschaftet. Auch andere Theaterbummler, die sich schon im Voraus ihren Optimal-Parcours ausgeknobelt hatten, lernen schnell, damit flexibel umzugehen. Nicht, weil der eng getaktete Zeitplan der rund vierzig „Nummern“, die von einem guten Dutzend Künstler(gruppen) ausgeheckt wurden, aus dem Ruder gelaufen wäre, sondern weil es einfach Spaß machte, sich treiben zu lassen, Bekannte zu treffen, an den bereitgestellten Tischen und Bänken eine Plauderpause einzulegen und das tolle Flair auf der bunt bebänderten Bummelstrecke zu genießen. Gesprächsstoff gab es ja genug. „Hast du schon die Episode aus dem neuen Stück mit Miriam Grimm und Felix S. Felix gesehen? Zum Schießen, wie sie die störrische Seniorin mimt“, bezieht sich ein Chawwerusch-Fan auf das neue Stück „Maria hilf“, indem des um das aktuelle Thema Altenpflege und polnische Perle geht. „Ne, da waren wir noch nicht, wir waren beim Herxheimer Dorftheater im früheren Detzel, das ging’s wirklich um’s Schießen“, flogen die Gesprächsfetzen durch die Luft und schon suchte man auf seinem Plan, wo man da hin muss. Aha, „Nummer 2, Ehemalig Haushaltswaren Detzel“. Das zweistöckige leerstehende Gebäude empfängt die Besucher noch immer mit einer nostalgischen mechanischen Türklingel. Bummel-Experten weisen den Weg in den ersten Stock. Dort findet man mit Ach und Krach noch ein Stehplätzchen zwischen voll besetzten Bierbänken und ist mitten in der Leseprobe zum nächsten Dorftheater-Stück mit dem Arbeitstitel „Grundeis“. Ermutigt durch Regisseurin Esther Steinbrecher hat sich sogar eine Dame aus dem Publikum auf die Bühne gewagt und sich als „Fräulein Hase“ bravourös am Lesetext versucht. Fünfzehn Minuten dauert dieser Appetithappen, dann ist Publikumswechsel und draußen, auf der Straße, scharen sich alle um eine blaue Mülltone mit fulminanten Innenleben. Es klingt nach Oskar aus der Sesamstraße, dann aber steckt Michael Wolf vom „Theaterspaziergang Kirrweiler“ den Kopf samt ausgepolsterter Körpermasse heraus und grunzt und giert und geifert sein „Loblied auf die Völlerei“. Dieser „Lecker-Schmecker-XXL“-Allesfresser war auch für Kinder lustig, für die außerdem eine Extraspielstätte im ehemaligen Café Schwanen eingerichtete wurde. Wer allerdings die Anfangszeiten des Malzacher Figurentheaters verbummelte, wurde abgewiesen. Für den großen Andrang waren die Spielstätten – darunter auch das einstige Café Kaiser, das „Im Sternbild der Ukulele“ -Produktion stand und von verschiedenen Musikgruppen bespielt wurde, fast zu klein. Deshalb war es erstens mitunter ziemlich sportlich und zweitens nicht immer angenehm, drinnen im Getümmel zu schwitzen, wenn die Türen wegen Überfüllung oder zum Schutz vor Störung geschlossen wurden. Aber auch unter freiem Himmel gab es genug Plaisir. Im „Hof Herzen-stiel“ hatte sich die „Theatergruppe zur Brotweihe“ eingenistet und mit verschiedenen Szenen aus dem Herxheimer Dorfleben Appetit auf die Jubiläumsfeiern am nächsten Wochenende geweckt. Und die jungen Theaterscouts der Expedition Chawwerusch verwandelte große Schaufensterscheiben in eine Art Aquarium, um dem belustigten Publikum, das auf Bierbänken vor der Scheibe saß, eine „Angleridylle mit anderen Augen“ – nämlich zuerst aus der Sicht der Fischer und dann mit dem Glubschaugen der Fische zu zeigen. Das Happy-End zwischen der Meerjungfrau und ihrem Prinzen an der Angel kann man getrost als gutes Omen für die neue Chawwerusch-Spielzeit und vielleicht sogar auch für die Belebung der Herxheimer Infrastruktur sehen. Denn abseits der Bühne wurden viele Ideen für neue Nutzungen der leerstehenden Immobilien diskutiert, die man vorher noch nie so explizit wahrgenommen hat. Info www.chawwerusch.de |ttg

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