Kultur Südpfalz Pflege mit Herz

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„Maria hilf!“, so hallt es im Chawwerusch-Theater in Herxheim nach. Es ist der flehentliche Schlussappell der drei Darstellerinnen am Ende der Vorstellung. Im Theatersaal mit anderer Anordnung der Bühne sind die Zuschauer direkt am Ort des Geschehens, nach wenigen Minuten Spielzeit werden sie Zeuge eines bekannten familiären Dramas.

Die bis dato agile Mutter Magdalena (Felix S. Felix) erleidet einen Schlaganfall, Tochter Michaela (Miriam Grimm) sieht sich in einer Zwangslage: Als ohnehin schon ausgelastete, alleinerziehende Mutter mit Vollzeitjob muss sie sich jetzt auch noch um ihre Mutter kümmern. Hilfe kommt in Form einer polnischen Pflegekraft Maria (Yaroslava Gorobey). Die drei Protagonisten nehmen das Publikum mit auf eine höchst emotionale Reise. 90 Minuten lang und ohne Pause verdeutlichen sie die schwierige Lage jeder einzelnen, ohne dass das Spiel auch nur ansatzweise langweilig oder eintönig würde. Im Gegenteil: Berührende Tiefschläge, heikle Alltagssituationen ebenso wie Situationskomik und heitere Wortspiele sorgen für Unterhaltung bis zur letzten Minute. Fröhlich, lebensmutig, mädchenhaft gekleidet in Pink kommt die polnische Maria ihren zweifellos harten Pflichten nach. Trotz der wenigen Pausen (maximal zwei Stunden pro Tag, ein halber Tag pro Woche) zeigt sie sich stets gut gelaunt und kompetent. Ihre Bedürfnisse werden nicht wahrgenommen, Wertschätzung ihr gegenüber fehlt, sie muss nur funktionieren. Doch auch sie hat ihr Päckchen zu tragen, warten in der Heimat doch ihre fünf- und sechsjährigen Kinder auf sie, die aufgrund ihrer Abwesenheit von ihrer Mutter betreut werden müssen. „Pflege mit Herz“, das ist ihr wichtig, obwohl sie aus finanziellen Gründen gekommen ist. Gastschauspielerin Gorobey, die ursprünglich aus der Ukraine kommt, musste sich den Akzent für das Stück erst wieder antrainieren. Durch ihre beeindruckende schauspielerische Leistung überzeugte sie auch die im Publikum anwesenden polnischen Pflegerinnen, die ihr und der Gesamtsituation absolute Authentizität bescheinigten. Für Betroffenheit sorgt die Situation der Mutter: „Früher war ich zweiseitig und jetzt bin ich einseitig“, hadert die dominante, in rot gekleidete Mutter Magdalena mit ihrem Schicksal und kann sich anfangs mit ihrer unbezahlbaren polnischen Perle nicht anfreunden. Stattdessen schwelgt sie in Erinnerungen an ihren Albrecht und dessen Lieblingsvogel Stieglitz und macht Maria und Tochter Michaela das Leben schwer. Gerade auch körperlich zeigt Felix S. Felix als halbseitig Gelähmte eine schauspielerische Höchstleistung. Grimm als Tochter Michaela verdeutlicht in anschaulicher Weise ihre Extremsituation zwischen der Pflegeorganisation für ihre Mutter, ihrem eigenen Haushalt mit Kindern, ihrem Beruf und beruflichen Notsituationen. Allem gerecht zu werden, keine Rabentochter oder Rabenmutter zu sein – eine schwierige Leistung. Ihr Bruder Christian dagegen ist nicht Leidtragender der Situation. Auf der Bühne wie auch im wahren Leben meist üblich, tragen Mütter, Töchter und Marias im Pflegealltag die Last. Regisseur Walter Menzlaw hat sich mit diesem Stück eines höchst aktuellen wie auch politisch brisanten Themas angenommen: Über 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden derzeit zu Hause gepflegt, bis zu 300.000 osteuropäische Migrantinnen übernehmen eine 24-Stunden-Pflege in deutschen Haushalten. „Der deutsche Staat verschließt die Augen“, betont er. Aufwändige Recherche und Zusammenarbeit mit Betroffenen und Fachpersonal wie Physiotherapeuten gingen dem Stück voraus. Bühnenbildner Reinhard Blaschke hat die Bühne einfach und in cremeweiß gehalten: Gezeigt werden Marias kleine Kammer, eine Theke und ein Bad, wenige Requisiten. Umso farbenfroher wirken die von Kostümbildnerin Marlene Korbstein in Rot-Tönen gekleideten Frauen. Klavierspiel untermalt dramatische Szenen, Licht wird wirkungsvoll eingesetzt. Verantwortlich für Licht- und Tontechnik ist Kim Acker, als Regieassistentin fungiert Angelika Drexler-Ferrari. Nicht enden wollender Applaus belohnen die Glanzleistungen der Schauspielerinnen; das Stück bietet Gesprächsstoff, regt zum Nachdenken an, auch lange nach der Vorstellung werden eigene Erfahrungen ausgetauscht. Begeisterte Resonanz ob der Aktualität des Stückes: „So etwas schwebt wie ein Damoklesschwert über uns“, so ein Zuschauer. Info Weitere Vorstellungen sind an den kommenden Wochenenden. Informationen unter www.chawwerusch.de. |aiß

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